Fortbildung für technisch interessierte Laien: 'Was ist chemische Reaktionstechnik?' - Teil 3

zurück zu Teil 1

zurück zu Teil 2

zur Homepage des Autors

8.) Verweilzeit/Verweilzeitspektren

Mal ganz logisch gedacht: die Möglichkeit, mit anderen 'Molekülkügelchen' zu reagieren hängt doch davon ab, wie lange unsere Reaktandenmoleküle im Reaktionsraum vorhanden sind ('verweilen'). Im AIK ist das einfach: 'da kommt ja keiner zwischenzeitlich heraus!' die 'Verweildauer' ist hier einfach die Zeit: 'wie lange der AIK betrieben wird'. Anders bei den kontinuierlichen (durchströmten) Typen. Hier schwirren die 'Kügelchen' einfach jedes eine bestimmte Zeit im Reaktionsraum herum und die, die es sozusagen 'erwischt', daß sie dem Auslauf (zu) nahe kommen, werden hinausgetragen. Also das Verweilzeitverhalten einzelner Fluidelemente im Reaktionsraum ist individuell, damit wird die Verweildauer zu einem statistischen Problem ( gerade wie z.B. beim Publikumsverkehr in einem U-Bahnhof u.v.a.). Nun brauchen wir uns da nicht groß zu verrenken: statistische Populationsverteilungen sind in Naturwissenschaften und Technik 'Gang und Gebe'. Ein sehr 'schönes' Beispiel ist z.B. die Charakterisierung einer Regelstrecke in der Regelungstechnik mithilfe der 'Strecken-Sprungantwort'. Dies ist nichts anderes als die Aufnahme einer ('statistischen') Summenkurve. Und im Grunde genommen ist diese Prozedur ein exaktes Analogon zur Aufnahme einer Verweilzeitkurve in der Reaktionstechnik. In beiden Fälllen wird 'die Zeitcharakteristik' eines Obejkts ermittelt, mathematisch spricht man von 'Übertragungsfunktionen'.
Wir sprechen also in unserem reaktionstechnischen Fall einfach von der 'Verweilzeitdichteverteilung' im Reaktionsraum und wenden Methoden der statistischen Mathematik auf das Problem an. Bei der Beschreibung von statistischen Verteilungsfunktionen werden immer sogenannte Summenkurven der Verteilungfunktion oder sogenannte Spektralkurven derselben betrachtet, die übrigens als Differential und Integral mathematisch miteinander 'verknüpft' sind.
Wichtig ist nur, zu realisieren, daß diese Verweilzeitverteilung zunächst keine chemische Reaktion 'beinhaltet'.
Man spricht hier übrigens von einem hydrodynamisch (= strömungstechnisch) eingefahrenen Zustand, also der Apparat wird schon 'strömungstechnisch stationär' betrieben. Was letztlich dann untersucht wird, ist, wie der Apparat 'konzentratinsmässig anläuft'. Die im Apparat 'eingstellte Strömungstechnik' bestimmt z.B. auch die sogenannte Hydrodynamische Verweilzeit 'tau', gegeben durch den Quotienten 'Volumen/Volumenstrom' (was ja die Dimension einer Zeit ergibt). Diese ist sozusagen der 'Balken' für die mittlere Verweilzeit um die sich die statistischen Verweilzeiten 'herumscharen' (in Form der Verteilungskurve), - natürlich etwas vereinfacht ausgedrückt.

hydrd.verwzt mit: volumenstr.
Die zu beobachtende Verteilungsfunktion ist einzig und alleine durch das 'Strömungsmuster' im Apparat geprägt, und wenn wir hier 'etwas umfangreicher Formeln zulassen' würden, könnten wir zeigen, daß die experimentell beobachteten Verteilungs-Funktionen weitgehend mit denen übereinstimmen, die wir erhalten, wenn wir eine Stoffstrombilanz des Apparats in Form einer Differentialgleichung ansetzen und mathematisch lösen. Ja es ist sogar so, daß die Unterschiede zwischen Berechnung und Experiment genau das 'reale Verhalten' des Apparats charakterisieren. Wenn wir den für Idealreaktoren rechnerisch erhaltenen Verlauf der Verweilzeitfunktion dem jeweiligen Reaktortyp zuordnen, haben wir die Charakteristik der Makrovermischung (v.a. Grad der Rückvermischung) in diesem Reaktortyp 'kategorisiert'. Wenn wir die Abweichungen von dieser 'Idealfunktion' betrachten, beurteilen wir die Qualität der Makrovermischung (Grad der Idealität).

nochmals: Verweilzeitverteilungen informieren uns über die Charakteristik und die Qualität des Makrovermischungsverhaltens von Reaktoren

8.1.) Experimentelle Bestimmung von Verweilzeitkurven

Wie oben bereits angedeutet, werden zur experimentellen Ermittlung von Verweilzeitkurven Tracermarkierungen vorgenommen. Für uns als Beobachter sind natürlich Farbtracer sehr 'instruktiv', weil wir da etwas sehen können. Nun spicht man bei der Aufnahme des Verlaufs von Übertragungsfunktionen von Objekten von der Aufgabefunktion auf das Objekt und von dem Übertragungsverhalten des 'Übertragungsglieds' (Objekts) und der daraus sich ergebenden Antwortfunktion.

Als Aufgabefunktionen kommen in der Praxis folgende Funktionen vor, die zugleich auch mathematisch beschreibbar sein sollen:

Lassen Sie uns die Eigenschaften und Vor- sowie Nachteile der einzelnen Methoden der 'Aufgabe von Erregerfunktionen' gleich bei der Besprechung der verschiedenen Anwendungen diskutieren.

8.1.1) Sprungantworten ergeben Summenkurven

Welche der Idealreaktoren AIK, KIK, IR betrachten wir eigentlich ? Da wir oben bereits festgestellt haben, daß ein AIK eigentlich ja kein Verweilzeitspektrum hat, kommen nur KIK und IR und Schaltungen kontinuierlicher Reaktoren in Frage.
Bei der Sprungantwort wird der Tracer zu einem bestimmten Zeitpunkt 'schlagartig' in voller Höhe zugegeben und seine Zuflußmenge 'verbleibt auf diesem Pegel', - dies nennt man eine 'Sprungfunktion'. Die Antwortkurve wird in einer charakteristischen Form ansteigen und schließlich auf dem gleichen Pegel wie die Sprungfunktion 'landen'. Wenn wir bei der Auswertung etwas eleganter vorgehen, normieren wir das Tracer-Mengen-Signal, indem wir den aktuell beobachteten Wert (Konzentration, Masse, Signalwert o.ä.) durch den 'Vollwert' der Sprungfunktion dividieren. Damit bewegt sich der Signalverlauf zwischen 0 und 1. Unsere Antwortkurve (Summenkurve der Verweilzeit) beginnt also mit 0 und endet mit 1. Derartige Aufgabefunktionen lassen sich leicht bewerkstelligen. Nachteile sind, daß bei der mathematischen Auswertung für das Spektrum abgeleitet (differenziert) werden muß (hier kann 'Feinstruktur' verlorengehen). Ein weiterer Nachteil kann eventuell der relativ hohe Tracer-Verbrauch sein.

8.1.1. a.) Die Verweilzeitsummenkurve eines IR

Eigentlich müssten wir den Verlauf dieser Funktion durch Überlegen 'zusammenkriegen' ! Wenn die Sprungfunktion schlagartig auf vollem Pegel in das IR eintritt, wird sie dieses anschließend als 'scharfe Front' durchlaufen und genau die Hydrodynamische Verweilzeit 'tau' benötigen, bis sie (die Front) am Reaktorende angelangt ist. Vergessen Sie nicht, wir haben es ja mit einer idealen Pfropfströmung zu tun.

8.1.1. b.) Die Verweilzeitsummenkurve eines KIK

So ganz trivial ist die gedankliche Herleitung hier nicht mehr. Aber, überlegen wir einmal, wenn nun der Tracerpegel am KIK-Eingang schlagartig auf '1' ansteigt, wird er ebenso schlagartig mit dem ganzen Fluidvorrat im Kessel verdünnt, - und das in vollständiger Rückvermischung. Es wird also der Tracerpegel im KIK nicht sofort, aber doch stetig ansteigen, bis er im KIK ebenfalls '1' erreicht hat. Nun, wir können den Anstieg ja experimentell beobachten und auswerten. Wir werden feststellen, daß es sich um eine aufsteigende Exponentialfunktion handelt. Genau das sagt uns auch die mathematische Herleitung aus der Differenzialgleichung für die Stoffstrombilanz des KIK. Dies ist ja auch irgendwie plausibel, denn bei fast allen Lösungen von Differenzialgleichungen erhalten wir irgendwie geartete E-Funktionen.

Ein experimenteller Verlauf der Aufnahme einer Summenkurve könnte etwa so aussehen, wie in der vorliegenden gif-Animation sozusagen im 'Zeitraffer' gezeigt (übliche Verweilzeiten werden etwas länger sein). (Achtung: zurück einfach mit Browser-back)

Beim IR wandert die Sprungfunktion innerhalb der (hydrodynamischen) Verweilzeit ('frontal') durch das Rohr, beim KIK ist ein exponentieller Anstieg im Reaktor zu beobachten, wobei das Ende '1' nicht schon innerhalb der (hydrodynamischen) Verweilzeit tau erreicht wird.

Wie das bei einem Farbtracer-Experiment aussehen könnte, soll uns die folgende gif-Animation zeigen.

Die Abbildung zeigt eine Parallelschaltung eines KIKs und eines IR. Im Zulauf wird eine Sprungfunktion eines roten Tracerfarbstoffs zugegeben. Man sieht, wie die Front durch das Rohr wandert und wie die Farbe im KIK ansteigt, bis sie 'voll rot' ist. Nach kurzer Zeit wird im Zulauf wieder schlagartig auf 'Null-Tracer' umgestellt und wir können den Vorgang sozusagen umgekehrt beobachten. Diese umgekehrte Sprungantwortmethode wird 'Verdrängungsmarkierung' genannt, sie ist sozusagen die 'Ausverdünnungscharakteristik'. Für die etwas 'mässige' Qualität der Farbzu- und -abnahme im KIK möchte ich mich entschuldigen, - aber das ist übrigens gar nicht so einfach.

8.1.2.) Nadelpulsaufgaben ergeben die spektrale Verteilung (das Spektrum) als Antwort

Zunächst einmal, was ist ein Nadelpuls oder auch 'Dirac-Stoß' ? Dieses Aufgabesignal wird im Idealfall als infinitesimal schmales und unendlich hohes Signal definiert. Dies macht die praktische Verwendung des Nadelpulses schwierig, denn es ist ja eigentlich nicht realisierbar. Aber auch bei Anwendung möglichst schmaler und realisierbar hoher 'Nadeln' kann ein ausreichendes Ergebnis erhalten werden. Das Nadelpuls-Signal erzeugt, und dies ist mathematisch hergeleitet, die spektrale Antwort.

Sprungfunktionen ergeben Summenkurven und Nadelpulsfunktionen ergeben Spektralkurven der Verweilzeit. Summenkurven sind das Integral der Spektralkurven über die Zeit von 0 bis unendlich. Spektalkurven ergeben sich durch Differenzieren der Summenkurven.

8.1.2.a.) Verweilzeitspektrum des IR

Diese Funktion können wir uns wieder leicht herleiten. Ein Nadelpuls erreicht den Rohreintritt. Nun wird er mit der Pfropfströmung und (per def. des IR) völlig nicht-rückvermischt durch das Rohr 'wandern'. Er ändert sich nicht in seiner Form und verlässt nach der hydrodynamischen Verweilzeit wieder unverändert das Rohr. Nun, das ist ja wenig dramatisch! Wir können aber mit der ganzen Information doch einiges anfangen. Greifen wir einmal etwas auf nachfolgende Erörterungen vor. Wie wird denn das Spektrum aussehen, wenn wir ein 'reales' Rohr vor uns haben, bei dem wir teilweise Rückvermischung (und in diesem Fall auch 'Vorwärtsvermischung' in Axialrichtung, also ein teilweises Vorauseilen von Fluidelementen ) haben ? Dann erhielten wir doch sicherlich eine Spektralkurve von der Form einer Gauss'schen Glocke. Die Varianz dieser Glocke ist dann ein Maß für die 'Realität' unseres Rohrs.

8.1.2.b.) Verweilzeitspektrum des KIK

Sollen wir uns die Sache leicht machen? Die Antwort des KIK auf einen Nadelpuls ist das Spektrum. Das Spektrum ist die Ableitung der Summenkurve. Die Ableitung einer aufsteigenden Exponentialkurve ist eine fallende Exponentialkurve. Unsere Spektralkurve muß eine abfallende Exponentialfunktion sein. Das ist auch plausibel. Wenn ein realer Nadelpuls in den KIK gegeben wird, so ist das ja (im Vergleich zum Reaktorvolumen) eine ziemlich geringe Stoffmenge. Diese wird nun im KIK stetig ausverdünnt, wird immer kleiner und zum Schluß ist sie verschwunden, denn es kommt ja nichts nach. Dieser abklingende Verlauf ist wegen der geringen Mengen messtechnisch relativ schwierig zu erfassen. Deshalb ist die Nadelpulsmethode beim KIK in der Praxis oft nicht so recht praktikabel. Wenn man aber in pseudo-Echtzeitsimulationen des Vorgangs in Rechnern einfach den Trick anwendet und das Ausgabesignal mit einem Verstärkungsfaktor versieht, dann kann man das Spektrum ganz gut visualisieren. Dies soll in einer gif-Animation einer Simulation (wieder 'im Zeitraffer') gezeigt werden. (zurück mit Browser-back !!!)

Man sieht hier, daß der Nadelpuls eine 'reale' Breite hat und mehr wie ein Rechteckpuls aussieht. Aber rein qualitativ kann man die spektrale Abklingkurve erkennen. Diese ist aber - trotz angewandtem Vertsärkungsfaktor - 'recht mickrig'.

Wollen wir nochmals ein zusammenfassendes Bild über Summen- und Spektralkurven für KIK und IR ansehen. Sie sollten anhand des Bildes nochmals alles Besprochene rekapitulieren. (Hinweis engl. cumulative = Summenkurve). Viel Erfolg !!

zusammenfass

Die Verweilzeitspektren der idealen Reaktoren zeigen uns deren Makrovermischungs-Charakteristik. Sie zeigen die Grenzfälle der Vollständigen Rückvermischung (im KIK) und der Vollständigen Nicht-Rückvermischung (im IR).

Da wir jetzt mit der Besprechung des Verweilzeitverhaltens der Idealreaktoren fertig sind, einmal eine Frage. Wenn Sie diese Frage beantworten können, haben Sie im vorliegenden Kurs schon einiges gelernt. Es gibt einen Fall, wo man bei einem Reaktor das Spektrum experimentell ermitteln kann, ohne einen Dirac-Puls als Aufgabefunktion anwenden zu müssen, welcher Reaktor und welches Prozedere sind das? Antwort und zugleich Erfolgskontrolle !

Schließlich noch eine Frage an Leser, die sich etwas in Regelungstechnik auskennen (um ihr Gespür für die Verwandtschaft von Sprungantwortmethode und Summenkurve der Verweilzeit zu 'wecken'):

Welche Streckentypen in der Regelungstechnik entsprechen dem KIK und dem IR ?

Antwort

8.2.) Die Qualität der Makrovermischung, Reales Verhalten von Reaktoren, Reaktorschaltungen

Ich weiß nicht, ob es Ihnen nicht auch so geht wie mir: da habe ich mir das ganze theoretische Zeug einverleibt und frage mich: zu was? Was kann man damit anfangen? Und weil das gerade an dieser Stelle recht schön zu machen ist, möchte ich Ihnen mal kurz umreißen, zuwas das Dargelegte taugt. Sie können nämlich sehr schön aus dem Verweilzeitspektrum eines realen Reaktors, sein nichtideales Verhalten erkennen und klassifizieren. Sie können dann mithilfe dieser Informationen recht gute mathematische Modelle für die Berechnung des Reaktors entwickeln, - selbst, wenn Sie dazu noch nicht imstande sind, können Sie aber wenigstens erahnen, daß es so gehen könnte.

8.2.1.) Reale Strömungsrohr-Reaktoren

Welche nichtidealen Ausbildungen des Strömungsmusters in Rohrreaktoren gibt es?

8.2.1.a.) Randeffekt mit 'Kehrwasserzonen'

Selbst, wenn Sie nicht Kanufahrer sind, haben Sie diesen Effekt schon an Fluß-/Bach-Ufern gesehen. Der Effekt ist oft so stark, daß echte Fluß-Aufwärts-Strömungen zu beobachten sind !!

randeffekt

Wie äußert sich das im Spektrum? Vorhersage: wir werden eine Art 'längere Schwanzbildung' (Tailing) in der spektralen Glockenkurve beobachten.

Etwa so:

tailing
8.2.1.b.) Axiale Dispersion

Wir habe diesen Effekt schon weiter oben erwähnt. Dadurch, daß in der Rohrströmung eben nicht 'ideale differentielle Scheibchen forwärtslaufen', sondern Volumenelemente zurückbleiben oder vorauseilen, z.B. durch Diffusionsprozesse, ergibt sich eine axiale 'Streuung' (axiale Dispersion). Dieser Effekt kann auch mit einem mathematischen Ansatz für eine axiale Diffusion modelliert werden (Bodenstein-Modell, Bodenstein-Zahl). Wenn Sie mit den Formeln nichts anfangen können, vergessen Sie diese zunächst. Sehen Sie sich nur das Bildchen an !!

axdisp

Die axiale Dispersion führt, wie bereits oben erwähnt, zu einer Verbreiterung der spektralen Nadel (für's IR !!) zu einer Gauss'schen Glocke. Die Varianz charakterisiert das Ausmaß der axialen Dispersion.

glocke

Man könnte sagen, soetwas ist das Mindeste, was man bei realen Rohren zu erwarten hat.

8.2.1.c.) Effekte in 'gepackten Rohren', Packungsinhomogenitäten.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß Rohrreaktoren in der Heterogenen Katalyse eine große Rolle Spielen. Die Rohrreaktoren sind mit einer Katalysatorschüttung 'gepackt' und werden von einer fluiden Mischung (Gas oder Flüssigkeit) durchströmt (denken Sie im Zweifelsfalle an Ihren Autokatalysator!!). Wenn die Packung beispielsweise zur Rohrwandung hin etwas 'offener' (lockerer) ausfällt, haben wir den Fall, daß ein Teil der Fluidmasse viel schneller 'durch ist' als ein anderer, dies wird zu einer sogenannten Bimodalen Verteilung führen.

gepackt

dies sieht dann folgendermassen aus:

bimodal

8.2.2.) Reale Dürchfluß-Rührkessel

8.2.2.a) Totwasserzonen im Kessel

Wenn das Rührorgan nicht für eine vollständige Durchmischung des Reaktors sorgen kann, treten 'Totwasser-Bereiche' im Apparat auf. Beispiele für die rämliche 'Gestalt' dieser Zonen:

totwasser

in der nächsten Abbildung zeigt die gestrichelte Linie die Spektralkurve für den (idealen) KIK und die durchgezogene Linie das reale Spektrum. Die Totwasserzone führt aufgrund ihres 'Rückhaltevermögens' (Retention) zunächst zu einer relativen Verzögerung des Traceraustrags, - dieser kommt dann zu den späteren Zeiten verstärkt 'hinterher'.

totwasser1
8.2.2.b.) Traceradsorption im Kessel
tracerad

im folgenden Bild ist wieder die gestrichelte Linie für den idealen Kessel gültig, die durchgezogene für den Realfall.

tracerad

man sieht, daß der an der Kesselwand adsorbierte Tracer zu einer Verstärkung der Austragsmenge führt, die mit längerer Zeit zunimmt.

8.2.2.c.) Bypass im Kessel

es ist nicht von der Hand zu weisen, daß in Rührkesseln ein 'Kurzschluß' vom Einlauf zum Auslauf auftritt. Solch ein Kurzschluß kann in grober Näherung mit einem Rohrbypass modelliert werden (vorstellungsmäßig und mathematisch), das Bypass-Rohr wird natürlich wenig ideal sein, also zumindest viel axiale Dispersion aufweisen.

bypass1

im folgenden Bild ist wieder die gestrichelte Linie für den idealen Kessel gültig, die durchgezogene für den Realfall.

bypass2

man sieht in der Abbildung, wie die Gauss-Glocke für den 'Rohrbypass' auf die Abklingkurve des Kessels 'aufgehöckert' ist. Fazit: wenn die Abklingkurve des Rührkessels Höcker oder Sprünge aufweist, muß an Bypässe gedacht werden. Vielleicht gelingt es in solchen Fällen dann als allererstes apparative Verbesserungen vorzunehmen. Sonst muß an eine Modelliereung mit einer Parallelschaltung von Rührkessel und Rohr gedacht werden.

Die Verweilzeitspektren zeigen bei realen Reaktoren die 'Unregelmässigkeiten' in der Qualität der Makrovermischung. Die zu beobachtenden Verläufe bieten Hinweise zu Möglichkeiten einer mathematischen Modellierung dieser Reaktoren.

9.) Reaktionstechnische Optimierung von (isothermen) Reaktoren

Es soll im folgenden nur die chemisch-reaktionstechnische und nicht die apparativ-technische Optimierung betrachtet werden.

Vorab muß ich Ihnen hier noch eine 'elegante' Reaktorberechnungsmethode vermitteln und jetzt bin ich endgültig am Ende mit dem Festhalten an 'formelfrei' !! Versuchen wir wenigstens, die Sache auf ein Minimum zu reduzieren ! Es handelt sich dabei um die - wenn man sie intus hat - nutzerfreundliche und anschauliche 1/r(U) - Methode zur Raumzeitberechnung.

Die 1/r(U)-Methode

Bei einer reaktionstechnischen Optimierung ist man bestrebt, durch möglichst kurze Zeiten und möglichst kleine Reaktorvolumina eine möglichst große spezifische Produktleistung zu erreichen. Die Reaktionsdauer im Reaktor bei gegebenem Reaktorvolumen wird mit dem Begriff 'Raumzeit' (engl. space time) bezeichnet. Als Zusammenhang gilt:
(VR=Reaktorvolumen, tR=Raumzeit, v-Punkt=Volumenstrom, tau=hydrodynam. Verweilzeit)

Für ideale kontinuierliche Reaktoren ist die Raumzeit gleich der hydrodynamischen Verweilzeit tau.

Die genannten Größen sind in der Stoffstrombilanz für den Reaktor (inklusive darin stattfindender Reaktion) enthalten, - das ist ja auch irgendwie plausibel, denn die Konzentration eines betrachteten Edukts beispielsweise wird ja einerseits durch die Reaktion und andererseits durch den Stoffstrom ('Austrag') 'heruntergezogen'. Ein 'kleines Manko' stellt bei der ganzen mathematischen Betrachtung der zeitlichen und örtlichen Konzentrationsprofile die Tatsache dar, daß die Verläufe und Pegel bei unterschiedlichen Ausgangskonzentrationen ganz 'unterschiedlich ausfallen'. Gebe es da nicht eine Möglichkeit, die 'Sache' - also letztlich den Reaktionsfortschritt - irgendwie zu normieren? Das ist eigentlich gar nicht so schwierig, wir brauchen nur die aktuellen Konzentrationswerte (relativ zur Ausgangskonzentration) durch den Umsatz ausdrücken. Das geht über die Umsatzdefinition. Aus ihr folgt: c = co(1-U). Löst man die Stoffstrombilanzen für die idealen Grundreaktortypen unter Verwendung dieser Beziehung, erhält man folgende Ergebnisse für die Raumzeit tR:

Reaktortyp Formel (folgt aus Stoffbilanz!!)
nicht rückvermischt: IR, AIK tR = cA,0 * ∫ (dU/-r(U))
/von 0 bis Ux/
voll rückvermischt: KIK tR = cA,0 * U/-r(U)) mit U = Ux

Legende: tR = Raumzeit, U = Umsatz (von Edukt A als Referenz-Komponente), cA,0 = Anfangskonzentration von Edukt A, r = Reaktionsgeschwindigkeit, oder besser rA = Reaktionsgeschwindigkeit, Edukt A betreffend.

Merke: mit tR = VR / v_punkt

kann man auch das Reaktorvolumen berechnen !! (v_punkt = Strömungsgeschwindigkeit, z. B. in m3/h )

Wenn Sie Ihr Wissen später anhand der vertiefenden Fachliteratur ergänzen, werden Sie dort auch die Herleitung der Formeln finden. Wenn Sie das schon mal ansehen wollen, dann bitte hier:

Wenn wir diese Formeln genauer ansehen, bemerken wir, daß die Raumzeit proportional zum Produkt aus U und 1/r(U) ist. Dies bedeutet also nichts anderes, als daß das Integral unter der Fläche der Kurve 1/r(U) = f(U) in den Grenzen von Uo bis Ux der Wert der Raumzeit ist.

Für nicht raumzeitstationäre Reaktoren ist die Raumzeit gegeben durch die Fläche unter der Kurve 1/r(U) = f(U). Für den raumzeitstationären kontinuierlichen Durchflußrührkessel dagagen ist über den ganzen Reaktionsraum der gleiche Konzentrationswert und damit auch Umsatzwert - aber ebenso auch 1/r(U)-Wert - vorhanden, die Raumzeit entspricht deshalb in diesem Fall der Rechteckfläche U*1/r(U). Das alles ist eine direkte Konsequenz der obenaufgeführten beiden Formeln und eigentlich auch plausibel.

Und schon können wir mit dieser 'Darstellungsmethode' eine klare Regel ganz augenfällig veranschaulichen, nämlich:

9.1.) 'Einfache und eindeutige' Reaktionen, - Umsatzorientierte Optimierung

Bei einfachen bzw. eindeutigen Reaktionen, bei denen der Reaktionsfortschritt und die Produktbildung alleine mit dem Umsatz verknüpft ist, ist die Raumzeit in den nicht raumzeitstationären Reaktoren AIK und IR immer kleiner als im raumzeitstationären KIK. Man spricht hier von einer umsatzorientierten Reaktoroptimierung. Ein Kriterium für diese Eigenschaft der 'eindeutigen Umsatzabhängigkeit' ist - allerdings mit Einschränkungen - der Kurvenverlauf in der obigen Darstellung. Man sieht z.B. auch aus obiger Kurve, daß wenn die Kurve sich assymptotisch an U = 1,0 nähert, auf jeden Fall (unabhängig vom Reaktortyp) unendliche Raumzeiten erforderlich sind, - so etwas liegt z:.B. vor allem auch bei Gleichgewichtsreaktionen vor (hier sogar nicht nur mit U = 1,0 als Assymptote, sondern beim Gleichgewichtsumsatz). Ebenso könnten Reaktionen mit Verläufen, die zum Ursprung hin assymptotisch zur Y-Achse verlaufen, zu anderen Optionen führen, - und dies ist auch der Fall und soll in kürze besprochen werden.

Bei eindeutigen umsatzorientierten Reaktionen ist die Raumzeit und damit die spezifische Produktleistung in den nicht raumzeitstationären Reaktortypen immer optimaler als im raumzeitstationären KIK.

Gibt es aber eventuell die Möglichkeit, mit Hilfe von Reaktorschaltungen - hier natürlich vor allem einmal mit Kaskaden - die 'schlechte' Produktleistung des Durchflußrührkessels zu verbessern ? Nehmen wir als Beispiel eine Kaskade von 3 etwa gleichgroßen Kesseln, für die das nachfolgende Bild zutreffend wäre. Wenn wir unseren gewünschten Gesamtumsatz über die 3 Kessel mit passenden Teilumsätzen 'verteilen', ist die Raumzeit für diese Kaskade die Addition der 3 Rechteckflächen ΔU*1/r(U). In der folgenden Abbildung ist die schraffierte Fläche a - bekanntermassen - die Raumzeit in einem AIK oder IR. Die Fläche a+b wäre - ebenfalls bekanntermassen - die Raumzeit im KIK. Die Fläche unter der 3- stufigen 'Staffel' (Fläche a+die 3 Treppenstufen über der Kurve) entspricht der Raumzeit in unserer Kaskade.

rvonubild

wir sehen aus der Abbildung, daß für eine Kaskade mit nur 3 Kesseln schon eine wirklich dramatische Verbesserung in der Raumzeit gegenüber dem KIK erhalten wird (Sie können die Flächen ja mal prozentual abschätzen !!), obwohl diese Reaktoranordnung vom Rückvermischungsmuster her noch lange nicht als 'ideal nicht-rückvermischt' angesehen werden kann !!!

Hiermit haben wir ein früher schon getroffenes Statement belegt.

Ich glaube, Sie sehen hiermit schon sehr gut, wie nützlich die 1/r(U)-Methode ist. Weitere Beispiele finden Sie in den Übungen des Buchs /6/ von J. Hagen (siehe Literatur).

9.2.) 'Komplexere Reaktionen', - Konzentrationsführung

Im Grunde genommen war das vorherige Beispiel formal auch schon eine Anwendung mit Konzentrationsführung, - ja man könnte sogar soweit verallgemeinern, daß jede Reaktionsdurchführung in einem Reaktionsapparat eine Konzentrationsführung darstellt. Im vorliegenden soll die Konzentrationsführung jedoch im etwas engeren Sinn, d.h. vor allem aus der Notwendigkeit der Eigenheiten der Reaktion heraus folgend und im Falle der 'Nichtdurchführbarkeit' einer umsatzorientierten Optimierung, erörtert werden.
Bei komplexeren Reaktionsnetzwerken, beginnend mit einfachen Gleichgewichtsreaktionen über Parallel- und Folgereaktionen bis hin zu offenen und geschlossenen (Gesamt-)Folgereaktionen konnten wir ja schon zeigen, daß für bestimmte Produktbildungsgeschwindigkeiten bestimmte Komponentenkonzentrationen optimal (z.B. maximal) 'eingestellt' werden müssen.

Die umsatzorientierte Reaktor-Optimierung ist im Grunde genommen ein einfacher Spezialfall der Optimierung durch eine geeignete Konzentrationsführung.

9.2.1.) Einfache Folgereaktionen

Betrachtet man bei einfachen Folgereaktionen die 1/r(U) - Funktion für den Eduktverbrauch, so scheint hier keines der genannten Probleme aufzutreten und man könnte an eine rein umsatzorientierte Optimierung denken. Aber dem ist nicht so !! Lassen Sie uns das erarbeiten !



betrachten wir : eine einfache Folgereaktion A -> B -> C mit irreversiblen Teilschritten und den Geschwindigkeitskonstanten k1 und k2, - nehmen wir noch zusätzlich für beide Teilschritte eine Reaktionsordnung von 1 an !


das Folgende ist alles großenteils Wiederholung !!!

von oben kennen Sie die kinetischen Gleichungen:
dcA/dt = -k1 cA
dcB/dt = k1cA - k2cB
dcC/dt = k2cB

die Konzentrations-Veraufskurven für A,B und C hängen vom Verhältnis k1/k2 ab, Sie erinnern sich an die Abbildungen !

Wir können aus den Kurven entnehmen, daß die Konzentration des Produkts B ein Maximum annimmt, wenn k1 > k2 ist, oder zumindest nah bei k1 = k2 liegt.

Und wir realisieren auch, daß keine ausreichenden Mengen an B erhalten können, wenn umgekehrt k2 >> k1 ist. In diesem Fall gelingt es uns kaum, mit reaktionstechnischen Mitteln B zu produzieren. Wir müssen hier etwas an unserer 'Chemie' ändern und beispielsweise einen katalytischen Prozeß ausarbeiten, der die Bildung von B begünstigt. Oder wir können versuchen, k1/k2 durch die Wahl einer geigneten Reaktionstemperatur zu beeinflußen.

lassen Sie uns nun zusammenstellen: was müssen wir tun, wenn::

C unser gewünschtes Produkt ist ? ----> das ist der einfachste Fall: wir brauchen nur einen möglichst hohen Umsatz von A anstreben und damit verbunden eine relativ lange Reaktionsdauer. Wir befinden uns hier im Regime der umsatzorientierten Optimierung. Wenn k2 >> k1 ist, sollten wir keine kleinen Umsatzwerte auswählen ! (klar ? )

B unser gewünschtes Produkt ist ? -----> für k1 >> k2 haben wir eine gute Chance, eine ausreichende Menge an Zwischenprodukt B zu erhalten. Aber wir dürfen keinen (beliebig) hohen Umsatz wählen, wozu man ja geneigt wäre, wenn man nur auf den 1/r(U) - Kurvenverlauf des Eduktverbrauchs achten würde. Ja wir sehen sogar, daß B ein Maximum Bmax annimmt bei einer speziellen Reaktionsdauer taumax. Das bedeutet, daß wir ein Maximum an B erhalten werden, wenn wir unsere Reaktion derart 'betreiben', daß alle Reaktanden exakt für die Dauer taumax 'zusammenbleiben'. Für den absatzweisen Betrieb (also im AIK) können wir eine Formel für Bmax und taumax herleiten (normale Reaktionskinetik = absatzweise Kinetik !!), - hierzu gibt es Übungen in der Literatur. Auf der anderen Seite wissen Sie ja, daß man die Daten für ein IR aus denen für den AIK durch 'Zeit-Ort-Transformation' herleiten kann ! (klar?). Schließlich kann man natürlich auch für den vollständig rückvermischten KIK aus der Stoffbilanz einen Zusammenhang zwischen Bmax und taumax herleiten ( siehe z.B. bei J. Hagen /6/ ).

Wenn man nun die erhaltenen Ergebnisse für Bmax und taumax für vorgegebene Reaktionsdaten für einen AIK und ein IR einerseits und für den KIK andererseits vergleicht, dann sehen wir (fast schon erwartungsgemäß !!), daß taumax kürzer und Bmax höher ist für AIK und IR - im Vergleich zum KIK.
wenn B das gewünschte Produkt ist und k1 > k2, erhalten wir ein Maximum an B in einem nicht rückvermischten Reaktor, d.h. AIK oder IR, wenn wir den Reaktor bei taumax (und damit auch Umax) betreiben.

Dieses Ergebnis können wir uns einerseits aus der Verweilzeitinformation, d.h. der Makrovermischungscharakteristik, oder aber andererseits auch rein formal aus der 1/r(U)- Methode heraus plausibel machen.
In den nicht rückvermischten Reaktoren ist die Verweilzeit der Reaktanden exakt gleich der hydrodynamischen Verweilzeit, im vollständig rückvermischten Reaktor haben wir eine spektrale Verteilungskurve in Form einer e-Funktion, - damit existieren 'auch' Reaktanden-Verweildauern, die nicht optimal sind.
Bei der 1/r(U)-Methode haben wir verlaufsmässig das gleiche Bild für den Edukt-Umsatz, wie bei der einfachen umsatzorientierten Optimierung, - lediglich, daß hier nur vom Umsatz 0 bis zum Umsatz Umax 'gefahren' werden darf. Im KIK wäre dann die Raumzeit wieder die Rechteckfläche 1/r(Umax) * Umax und für AIK und IR die Fläche unter der Kurve 1/r(U) = f(U) von U = 0 bis Umax (ist das klar ?).
.

Etwas salopp formuliert, könnte man sagen:
Der Funktionsverlauf von 1/r(U) charakterisiert das (im Vorliegenden vielzitierte) Wesen der Reaktion (Reaktionseigenschaften).
Das Ergebnis der Flächenauswertung im 1/r(U)-Graphen ist eine Folge der implementierten Art der Rückvermischung (Reaktoreigenschaft)

Zur Fortsetzung habe ich mich für ein 'neues Verfahren' entschieden:
ich übernehme im folgenden zunächst teilweise den englischen Text aus meinen online-Kursen, die ich schon früher verfasst habe und übersetze und adaptiere diese peu a peu. Der Leser kann sich dann schon etwas vorwärts arbeiten und sieht auch, was alles noch geplant ist. 'A wing English' (ein wenig Englisch) schadet Ihnen auch nichts.

So, wie es eine Datumsgrenze gibt, gibt es ab jetzt bei mir im vorliegenden online-Kurs eine Übersetzungsgrenze. Diese soll so aussehen:


-------- Beginn: 11.03.06


bis zu dieser Grenze ist im folgenden alles in Deutsch übersetzt. Der Leser hat so gleichzeitig mal die Kontrolle, wie fleißig oder faul der Autor ist !!


9.2.2.) Gleichgewichtsreaktionen


Wie bereits erwähnt, ist die einfache Gleichgewichtsreaktion A <-> B kinetisch gesehen einer Folgereaktion sehr ähnlich. Mann könnte sie nämlich formal als Sonderfall der Folgereaktion A -> B -> A auffasssen. Es ist also zu erwarten, daß die Ergebnisse einer Betrachtung nicht dramatisch verschieden von denen der Folgereaktion sind.

die einfache reversible Reaktion A <-> B mit den Geschwindigkeitskonstanten erster Ordnung k1 (Hinreaktion) und k2 (Rückreaktion):

Wenn wir mit cB,0 = 0 starten, wird die Reaktion Produkt B erzeugen, bis der Maximalumsatz UA,max erreicht wird. Dieser Maximale Umsatz wird durch die Thermodynamische Gleichgewichtskonstante K = k2/k1 bestimmt. Für die Berechnung des Maximalen Umsatzes setzt man zuerst die kinetische Gleichung an:

rA = -dcA/dt = k1 cA - k2 cB

im nächsten Schritt ersetzt man die Konzentrationen durch den Umsatz UA:

cA = cA,0(1-UA)
cB = cB,0UA

aus der Geschwindigkeitsgleichung erhält man:

dUA/dt = k1(1-UA) - k2UA

im Gleichgewicht gilt dann

für UA,max: dUA/dt = 0

hieraus folgt:

UA,max = k1/(k1+k2)

dies ist der Maximale Umsatz einer reversiblen Reaktion .

Welche Konsequenz hat dies für die Raumzeit-Optimierung ?
Es ist augenfällig, daß wir diese Reaktion mit der umsatzorientierten Methode behandeln können, aber wir müssen - was sehr wichtig ist - darauf achten, daß UA,max als höchstmöglicher Umsatz nicht überschritten wird, - denn 'mehr genehmigt uns die Reaktion einfach nicht' !! Formal können wir dieses Vorgehen als Optimierung mit Konzentrationsführung im engeren Sinne bezeichnen, aber das ist - wie gesagt - ein wenig Definitionssache. Inzwischen wissen wir ja auch, daß wir den nicht-rückvermischten Reaktortyp für den vorliegenden Fall wählen müssen.

Eine interessante Frage ist - und das ist eine typische Übungsaufgabe in der Technischen Chemie - wie lange es dauert, bis die reversible Reaktion ihr Gleichgewicht erreicht hat, oder genauer gesagt zu z.B. 90%, 95% oder 99% erreicht hat, - (warum ? und läßt sich das auch formal zeigen? )



Fazit für die beiden obenerwähnten Reaktionstypen (Folge und Gleichgewicht):

beide Reaktionen zeigen das typische Verhalten, daß man bei alleiniger Betrachtung der 1/r(U) - Kurven - die ja für den Edukt-Verbrauch gelten - meinen könnte, sie könnten einfach umsatzorientiert optimiert werden. In Wirklichkeit haben wir aber in unseren obigen Betrachtungen bemerkt, daß man die Reaktionen nicht bis zu einem beliebig hohen Umsatz fortschreiten lassen kann und darf. Wir können die Reaktion nur bis zu einem maximalen = optimalen Umsatz fahren. Das bedeutet aber wiederum, daß wir die Reaktionsdauer exakt einhalten müssen und wir wissen ja jetzt schon, daß dies in einem nicht-rückvermischten Reaktor (also AIK oder IR) funktioniert. Im Grunde genommen können wir das Ganze auch so formulieren: bei diesen Reaktionen können wir ebenfalls umsatzorientiert optimieren, - nur daß wir einen 'Grenzumsatz' nicht überschreiten dürfen.



9.2.3.) Parallelreaktionen



Parallel reactions

Parallelreaktionen verhalten sich grundsätzlich ähnlich wie die obigen Grundreaktions-Typen. Nehmen wir als Beispiel wieder einen einfachen Fall: A - >B parallel zu A -> C, also eine irreversible Parallelreaktion. In einer Parallelreaktion laufen die beiden 'Reaktionszweige' konkurrierend ab. Man sieht aus reaktionskinetischer Sicht, daß das 'Produktionsverhältnis' der zwei Zweige - dies ist identisch mit dem Verhältnis der Reaktionsgeschwindigkeiten derselben - von den Geschwindigkeitskonstanten und den Reaktions-Ordnungen der beiden konkurrierenden Reaktionen abhängt. Formal läßt sich herleiten (und wir kennen diese Formel bereits):


Reaktionskinetik einer einfachen Parallelreaktion

Für zwei Reaktionszweige mit der gleichen Reaktionsordnung, z.B. mit Ordnung 1, ist mit n=m das Verhältnis der Reaktionsgeschwindigkeiten identisch mit dem der Geschwindigkeitskonstanten. Hierfür läßt isch ableiten:

Grösse Formel
relative Produkt- konzentration cB/cA,0 cB/cA,0 = ( k1/(k1+k2) ) * UA
relative Produkt- konzentration cC/cA,0 cC/cA,0 = ( k2/(k1+k2) ) * UA
Selektivität SB SB = k1/(k1+k2)
Selektivität SC SC = k2/(k1+k2)
Produktverhältnis cB/cC cB/cC = k1/k2

für den Fall unterschiedlicher Reaktionsordnungen sieht man aus der Formel, daß die aktuelle Konzentration von A von Einfluß ist, - das heißt, daß wir A mithilfe einer Konzentrationsführung einstellen müssen !!! Nehmen wir einmal an, die erste Reaktion sei von niedrigerer Ordnung (z.B. 1. Ordnung) als die zweite (z.B. 2. Ordnung). Dann können wir allgemein festhalten, daß der Reaktionszweig mit höherer Ordnung begünstigt sein wird, wenn die 'treibende Kraft Edukt-Konzentration' verhältnismässig hoch ist. Dieser Zweig wird dagegen nicht begünstigt, wenn die Konzentration an A relativ niedrig ist ( meine Eselsbrücke: 1 mal 1 = 1, aber 0,1 mal 0,1 = 0,01 !!!).
Wir können also festhalten:

9.2.4.) Exotische Reaktionen ? Autokatalytische Reaktionen

Autokatalytische Reaktionen speziell sind nicht unbedingt 'grenzenlos häufig' vorkommende Reaktionen. Wir sehen aber in ihrer Betrachtung vieles über das 'Wesen' der Konzentrationsführung. Und es gibt im übrigen doch auch sehr viele Reaktionen, die - schon aus dem Verlauf der 1/r(U)-Kurve heraus erkennbar - komplizierter sind und mit einer einfachen umsatzorientierten Optimierung nicht behandelt werden können, - gerade auch im Bereich der Katalytischen und Makromolekularen Reaktionen. Hierfür steht - didaktisch gesehen - stellvertretend die im folgende beschriebene Autokatalytische Reaktion.

In Autokatalytischen Reaktionen ist die Reaktionsgeschwindigkeit proportional zur Konzentration (normalerweise) eines Produkts (oder oft ganz einfach: des Produkts). Im einfachsten Fall kann das eine Abhängigkeit von 1. Ordnung sein, also beispielsweise:

Wenn man CB über CA0 in CA ausdrückt, sieht man, daß die Abhängigkeit von rA von cA quadratisch ist und wenn wir rA in Abhängigkeit von cA auftragen, erhalten wir eine Parabel mit einem Maximum bei cA = cA,0/2 . Das kann man formal herleiten:
rA = kcA,0*cA - k c2A

drA/dcA = 0 = k(cA,0 - 2 cA) -> cA = cA,0/2


Autokatalytische Reaktion, parabolische Funktion

Wir sehen also, daß die Reaktionsgeschwindigkeit ein Maximum bei 50 % Umsatz annimmt. Und wir 'entdecken', daß wenn die Produktkonzentration exakt Null ist, die Reaktionsgeschwindigkeit ebenfalls Null ist. Das bedeutet aber, daß die Reaktion nicht stattfindet, wenn die Produktkonzentration Null ist ( das riecht ja förmlich nach der Notwendigkeit einer Rückvermischung). Wenn man die Parabelfunktion rA = f(cA) in die Form 1/rA(UA) = f(UA) bringt, erhält man wieder eine Parabelfunktion. Diese ist jedoch 'nach oben geöffnet' und zeigt ein Minimum bei U = 50%.


der 1/r(U) - Plot

Was sehen wir daraus ?

Lassen Sie uns nun das Behauptete mit Daten aus einer Übung der Techn.Chemie - sozusagen zweifelsfrei - belegen:


Beispiel einer Autokatalytischen Reaktion



Aufgabenstellung der Übung war: welcher Reaktor oder welche Reaktorschaltung weist die niedrigste Raumzeit für die o.a. Reaktion auf, wenn ein Umsatz von 99% erzielt werden soll ?

Was war zu machen ? Es mussten die Raumzeiten nach der 1/r(U) - Methode für verschiedene Reaktoranordnungen berechnet werden, - eine typische Rechenaufgabe der Technischen Chemie. "You should try it".

Eine etwas 'abstrakte' Anmerkung muss hier noch erwähnt werden: die Autokatalytische Reaktion läuft streng nach ihrer Kinetik betrachtet ohne eine - wenn auch nur winzigste - Spur von Produkt B gar nicht an !!! Das hat aber für den KIK die etwas 'irre' anmutende Konsequenz, dass die Reaktion beim Anfahren des KIK gar nicht anläuft !!! Es muss deshalb ganz deutlich festgehalten werden, dass bei allen Betrachtungen im vorliegenden Text vom eingefahrenen = stationären Betrieb der Reaktoren ausgegangen wird. In diesem Fall ist im KIK ja schon die maximale Konzentration an Produkt B erreicht !! (In der Anfahrphase müsste also mit B 'angeimpft' werden)

hier nun die Ergebnisse :

für 99 % Umsatz und die gegebenen Werte erhält man für die kontinuierlichen Reaktoren (KIK,IR):

Reaktor oder Reaktorschaltung Reaktorvolumen
KIK 99 % Umsatz (vergleiche hierzu KIK mit 50% Umsatz s.u.) 661.4 m3
IR 99 % Umsatz mit cB,0 = 0.000 mol/l unendlich
IR 99 % Umsatz mit cB,0 = 0.01 mol/l 60.78 m3
IR 99 % Umsatz mit cB,0 = 0.0001 mol/l 76.06 m3
IR 99 % Umsatz mit cB,0 = 0.00001 mol/l 106.5 m3
Serienschaltung:
KIK mit 50 % Umsatz VR = 13.23 m3
+
IR für den Rest von 49% (auf 99%) VR = 30.39 m3
43.62 m3
Kreislaufreaktor mit optimalem Kreislauffaktor R = 0.188 49,47 m3

Sie erinnern sich hoffentlich, daß Raumzeit und Reaktorvolumen über die Strömungsgeschwindigkeit (Volumenstrom) zusammenhängen. Ein kleines Reaktorvolumen ist gleichbedeutend mit einer kurzen Raumzeit - und damit einer großen Spezifischen Produktleistung. Dies ist wichtig, wenn man den Absatzweisen Rührkessel AIK mit in Betracht ziehen will. Dieser erbringt ja bei der 1/r(U) -Methode die gleiche Raumzeit wie das IR.

Man sieht schön, daß wie prognostiziert, die Serienschaltung der 'Sieger' ist, gefolgt vom Kreislaufreaktor. Der Unterschied zwischen der Reaktorschaltung und einem KIK mit 99% Umsatz ist gewaltig. Für das Animpfen von IRs wird für kleinere Reaktorvolumina schon eine ansehliche Menge Produkt benötigt.


ein weiteres interssantes Beispiel für Reaktionen, die eine anfängliche Rückvermischung erfordern, gibt es im Themenbereich Wärmehaushalt von Reaktoren. Es handelt sich, wie man sich fast denken kann, um Reaktionen, die zum Start eine Wärmezufuhr benötigen. Hierbei spielt die Lösung der verkoppelten Stoff- und Wärmebilanz eine Rolle.

*****************************************


das signifikante Merkmal der besprochenen Reaktionen ist, daß sie unerlässlich auf eine anfängliche Rückvermischung angewiesen sind, weil sie aus reaktionskinetischen (und thermischen) Gründen anders gar nicht starten könnten. Derartige Reaktionen trifft man in der Praxis schon häfiger an.


Bei der reaktionstechnischen Optimierung durch Konzentrationsführung werden durch die Wahl geeigneter Reaktortypen oder Reaktorschaltungen Konzentrationen von Komponenten, die von Einfluß sind, derart eingestellt, daß ein Optimum an Reaktionsgeschwindigkeit für die Produktbildung erreicht wird. Die 1/r(U) - Methode ist dabei hilfreich, kann aber nicht immer alleine zur Auswahl herangezogen werden, weil sie eigentlich nur das von der Eduktumsetzung herkommende Bild berücksichtigt. Eine eingehende Analyse des Reaktions-Netzwerks und der Reaktionskinetik ist erforderlich.

und so geht's weiter in Teil 4 :

9.3.) Heterogene Reaktionen, - Stoffstromführung

9.4.) Reale Reaktoren, die 'Flächenmethode'

10.) Der Wärmehaushalt von Reaktoren

12.) Literatur

pdf-Datei des vorliegenden Teils 3 (ca. 700k), Feb. 2009

zurück zu Teil 1

zurück zu Teil 2

weiter zu Teil 4


Bitte teilen Sie mir mit, wenn ein Interesse am vorliegenden Stoff besteht ! Ganz toll wäre auch, wenn ich auf Fehler aufmerksam gemacht würde.


zur Homepage des Autors